Erwirken von Charakterveränderungen mit der IS-TDP Methode

BildLiteratur
15 Mai, 2015

Abbass A, Bechard D, (2007)

übersetzt ins Deutsche von Lothar Matter und P.A. Emmenegger

Erschienen im AD HOC Bulletin of Short-term Dynamic Psychotherapy 11 (2): 26-40
Summary: Davanloo has discovered and operationalized a means of direct assessment of character structure, including both discharge pathways of unconscious anxiety and specific manifestations of defenses. This psychodiagnostic process provides a roadmap to the unconscious buried feelings, which generate the anxiety and defenses. This roadmap tells the therapist how much of which interventions are required to bring sufficient structural changes in unconscious anxiety and defenses to enable smooth, direct access to the unconscious. In following the map, changes in character structure begin to take place and are thereafter cemented by repeated unlocking of the unconscious and working through the underlying feelings. In this article, this process of psychodiagnostic evaluation, and the graded format of bringing structural changes will be overviewed and illustrated by vignettes from a course of treatment.

Zusammenfassung:
Davanloo hat ein Mittel der direkten Einschätzung von Charakterstrukur entdeckt und beschrieben. Dies beinhaltet das Entladungsmuster der unbewussten Angst und die spezifischen Manifestationen der Abwehr. Dieser psychodiagnostische Prozess stellt eine Landkarte zu den unbewussten verschütteten Gefühlen zur Verfügung, welche die Angst und die Abwehren erzeugen. Diese Landkarte beschreibt dem Therapeuten welche Interventionen notwendig sind, um genügend strukturelle Veränderungen in die unbewussten Ängste und Abwehren zu bringen damit ein reibungsloser und direkter Zugang zum Unbewussten möglich wird. Diese Landkarte befolgend, stellt sich durch wiederholtes Erschliessens des Unbewussten und durch das Durcharbeiten der darunterliegenden Gefühle, eine dauerhafte Veränderungen in der Charakterstruktur ein. In diesem Artikel wird der Prozess dieser psychodiagnostischen Evaluation und die Strukturveränderung mittels des abgestuften Vorgehens (graded format) anhand von Vignetten aus einem Behandlungsverlauf erklärt und erläutert.

Spezifische Manifestationen der Charakterpathologie

Davanloo hat zwei Patientengruppen beschrieben die sich eignen um mit ISTDP behandelt zu werden. Die Gruppe der Psychoneurotischen Störungen und die Gruppe der Patienten mit fragiler Charakterstruktur (Davanloo 1995)

Psychoneurotische Störungen auf der linken Seite des Spektrums haben nur ungelöste Trauer und keine Charakterpathologie. Sie haben keine hochgradigen Abwehren und kein bestrafendes Über-Ich, weil sie keine unterdrückte Wut und Schuldgefühle darüber haben. (Davanloo 1995) Sie gebrauchen taktische Abwehren wie Unbestimmtheit, Vagheit oder unbestimmte Ausdrücke wie („vielleicht „ auf eine Art ....“ usw.)

Wenn man auf der Skala dieses Spektrums weiter nach rechts wandert, nimmt das Ausmass an erlebten Traumatas zu und der daraus folgende Schmerz, die Wut und Schuld nehmen zu.


Auf der ganz rechten Seite des Spektrums sind Patienten, welche Bindung und Verbundenheit in einem bestimmten Masse erlebt haben. Diese Bindungen wurden aber durch ein oder mehrere traumatische Erlebnisse im Leben gebrochen. Die Gefühlskaskade im Zusammenhang mit diesen gebrochenen Bindungen ist der Motor für die Schwierigkeiten dieser Patienten. Sie haben eine bestrafende Über-Ich-Struktur (Davanloo 1995) und eine signifikante Charakterpathologie. Sie sind insgesamt wenig motiviert, haben eine fehlende Introspektion und sind hochresistent (Davanloo 1990e).
Viele dieser Patienten benutzen als Hauptwiderstand die Affektisolierung, verbunden mit der Entladung der unbewussten Ängste in die quergestreifte Muskulatur. Diese Patienten waren die ersten hochresistenten Patienten welche Davanloo in den 1970ern erfolgreich mit der Anfangstechnik (Davanloo, 1980, 1995) behandeln konnte. Er fand, dass 23% der allgemein psychiatrischen Patienten mit dieser Methode behandelt werden konnten.
Siehe Folie 1 (Davanloo 2005)

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Patienten am rechten Rande des Spektrums können auch die Verdrängung als eine primäre hochgradige Abwehr benutzen, vergesellschaftet mit der Entladung der unbewussten Angst in das autonome Nervensystem, welches auch die Innervation der glatten Muskulatur zuständig ist. Dies sind jene Patienten, die unter chronischer Somatisierung und Depression leiden, sowie schwere Beziehungsprobleme und selbstzerstörerische Verhaltensmuster aufweisen. (Davanloo 1990 b,c)

Diese Patienten haben keine solide Abwehren und haben weniger Zugang zu taktischen Abwehren. Anstatt direkt abzuwehren, erschlaffen Sie, wenn Sie unter Druck gesetzt werden. Um diese Patientengruppe zu behandeln, hat Davanloo eine spezifisch modifizierte Therapieform entwickelt, welche der Fokus dieses Artikels ist. Mit der Anwendung dieser Modifikation wurde es ihm möglich, 35% der allgemein psychiatrischen Patienten zu behandeln (Davanloo 2005). Insgesamt beinhaltet das Spektrum der psychoneurotischen Störungen 65% der Überweisungen in eine Psychiatrische Praxis. (Abbas 2002)


Im Spektrum der Patienten mit fragiler Charakterstruktur weisen die Patienten schwer-wiegende Charakterpathologien auf. Ihre Lebensgeschichte zeigt schwere Traumata, fehlende sichere, gesunde Bindungen. Neigung zu Gewalt und Viktimisierung. Sie weisen viel häufigere Arbeitsunfähigkeiten auf, brauchen über längere Zeit Medikamente und sind schwieriger zu behandeln und erfordern eine längere Therapiedauer. (Davanloo, 1995), (Abbass 2012). Sie machen gegen 20% der Überweisungen in eine psychiatrische Praxis aus. (Abbass, 2002). Ihre Hauptabwehrstrategien sind die Projektion und die Verdrängung. Diese Patienten haben in unterschiedlichem Ausmass Zugang zur unbewussten Angst, welche sich in einer Überflutung der Kognition und Wahrnehmungsstörungen zeigt :  Abdriften, verschwommenes Sehen oder Tunnelblick und Dissoziation (Davanloo, 1980) (Davanloo, 1995). Am mittleren Ende dieses Spektrums erleben die Patienten vorüber-gehende kognitive Störungen auf einem höheren Angstlevel, während schwer fragile Patienten diese Phänomene schon bei tieferen Angstleveln erleben und in diesem Status über viel längerer Zeit verharren können. Mit der Anwendung der neuen Form der Technik zur multidimensionalen Strukturveränderung, sind nun 52% der allgemein psychiatrischen Patienten und 86% der in die Praxis überwiesenen Patienten, Kandidaten für die ISTDP (Davanloo, 2005, Abbass 2002).

Übersicht zur Ermöglichung von Charakterveränderungen mit Davanloo’s ISTDP

Kurz gesagt: eine Charakterveränderung ermöglichen, bedeutet den Widerstand gegen das Erleben von Emotionen, sowie den Widerstand gegen emotionale Nähe zu vermindern oder aufzulösen.  Mit anderen Worten muss der Patient die Fähigkeit entwickeln, intim (innig, nahe und vertraut) zu sein und Gefühle zu erleben, ohne dass dies eine pathogene Reaktion auslöst.
In diesem therapeutischen Prozess wird Selbstzerstörung in Selbstfürsorge transformiert. Davanloo hat beschrieben, dass dieser Prozess direkt erreicht werden kann, indem man dem Patient hilft seinen Widerstand zu sehen, den Widerstand zu überwinden und die darunterliegenden Gefühle in Zusammenhang mit dem früheren Trauma zu erleben.

In Kürze, die zu durchlaufenden Schritte um dies zu erreichen.

  • Untersuchung / Befragung
  • Psychodiagnostiche Evaluation
  • Vorbereitungsphase
  • Wiederholtes Aufschliessen des Unbewussten (unlocking of the unconscious)
  • Durcharbeiten
  • Beenden.

In  dieser Übersicht werden wir das Augenmerk auf die psychodiagnostischen Befunde und die Vorbereitungsphase zu Beginn der Therapie eines jungen Mannes mit chronischer Depression und schwerem Colon irritabile, Agoraphobie mit Panikstörung und chronischem selbstdestruktivem Verhalten, inklusive chronischen Suizidgedanken, legen.

Davanloo’s Psychodiagnostische Einschätzung

Davanloo hat einen spezifischen Prozess beschrieben, der es ermöglicht den neurologischen Ausbreitungsweg der Angst des Patienten zu evaluieren und die Natur der Widerstände zu verstehen. Der Prozess beinhaltet die Anwendung von psychischem „Druck“, was komplexe Gefühle dem Therapeuten gegenüber auslöst.
Diese „komplexen Übertragungsgefühle“ (CTF) beinhalten sowohl Anerkennung als auch Irritation gegenüber der Absicht des Therapeuten die darunterliegenden emotionalen Probleme zu verstehen und daran zu arbeiten, den Patienten von seinen Schwierigkeiten zu befreien. (Davanloo, 1990e)


Diese komplexen Gefühle mobilisieren ungelöste, unbewusste komplexe Gefühle aus alten Beziehungen, welche eine unbewusste Angst und Abwehr gegen diese Angst generiert.
Man kann dann das Ausmass und die Art der unbewussten Angst, sowie die Natur und das Mass des Widerstandes sehen.

So erlaubt der Prozess eine direkte Untersuchung der psychischen und der Charakterstruktur der Patienten. (Davanloo, 1990e) Wie in Figur 2 dargestellt

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Mit Hilfe spezifischer Interventionen wird Druck auf die Psyche des Patienten erzeugt. Solche Interventionen sind : strukturiertes Interview, Fokussierung auf spezifische Probleme mit genauen konkreten Beispielen für das geschilderte Problem. Fokussierung auf vermie-dene Gefühle. Fokussierung auf das Erleben dieser Gefühle. Der Druck richtet sich je nach Phase an den Willen des Patienten, auf die therapeutische Aufgabe, auf die ebenbürtige Zusammenarbeit, auf die Aufmerksamkeit und auf die Offenheit, den eigenen Gefühle gegenüber. (Davanloo, 2000)

Das Resultat dieses Druckes und das Standhalten gegen den Widerstand ist eine direkte Untersuchung der Angsttoleranz des Patienten und seiner Abwehren anstatt einer Spekulation darüber. Dieses Vorgehen ist Bedingung um festzulegen, welches der effektivste therapeutische Zugang für diesen Patienten ist.


Beispiele von möglichen Antwortsmustern, Auswirkungen dieser Muster und entsprechende Therapiezügänge zeigt die Figur 3

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Kurzes Fallbeispiel: (in Kursivschrift Kommentare und Bemerkungen zu den Interventionen)

30 – jähriger, alleinstehender Patient, welcher vor 4 Jahren von seiner Verlobten auf demütigende Art verlassen wurde. Er war während 4 Jahren arbeitsunfähig und wurde mit Antidepressiva und Anxiolytika behandelt. Er schaffte es nicht zum Erstinterview zu kommen, weil er zu ängstlich war, das Haus zu verlassen. Er fürchtete sich vor unkontrolliertem Durchfall. Deshalb blieb er meistens zu Hause und mied, Auto zu fahren, weil er in einem Verkehrsstau geraten könnte.

Erste psychodiagnostische Evaluation

Der Patient wirkte im Gespräch ruhig, obwohl er die erste Sitzung verpasst hatte. Zu Beginn des Interviews schilderte er seine chronischen Depressionen, Suizidgedanken ohne aktive Suizidplanung, Panikattacken, generalisierte Angst und soziale Isolation.

TH:
Können Sie mir von einer Situation erzählen, in der Sie diesen Durchfall erlebten.
(Druck: mit der Aufforderung konkret zu sein, Strukturierung der Befragung)
P:
Es kommt aus dem Nichts. Es gibt keine Warnzeichen.
(Weist auf eine fehlende emotionale Verknüpfung hin)
TH:
Können Sie eine genaue Zeit beschreiben wenn dies passiert, so dass wir sehen können wie das abläuft ?
(Druck: genauer zu sein)
P
Es passierte als ich die erste Sitzung verpasste.
TH
Können Sie mir davon berichten. Wie fühlten Sie sich als Sie die Sitzung verpassten?
(Druck auf das Gefühl)
P
Ich rief Sie an und bekam dann Krämpfe und später Durchfall.
TH
Als Sie mich angerufen haben, wie haben Sie sich gefühlt?
(Druck auf das Gefühl)
P
Ich dachte ich sei ein Idiot dass ich es verpasst hatte
TH
Sie meinen Sie waren wütig ... aber gegen wen?
(Erhöhter Druck: auf das Gefühl)
P
Ich war und bin ein Idiot.
TH
Also Sie meinen wütig gegen Sie selber ? Ist es das, was hin und wieder passiert?
(Abwehr klären)
P
Ja, ich glaube es passiert
TH
Weil beim Versuch mir darüber zu erzählen, wurden Sie wütend auf sich selber?
(Wiederholte Klärung der Abwehr.)
P
Ja, so ist es.
TH
Können wir das anschauen – Wie das hier passiert?
(Druck auf die Aufgabe und den Willen des Patienten)
P
Klar, ich glaube wir müssen.
TH
Hört Darmgurgeln. Der Patient schaut total entspannt aus ohne willkürliche Muskelreaktionen.
(Dies ist ein Hinweis, dass die Angst in diesem Mann nicht in die willkürliche Muskulatur fliesst, sondern in die glatte Muskulatur des Magendarmtraktes verdrängt wird. Der Patient scheint locker aber der Darm krampft.)
TH
Was passiert nun ?

Herzbrennen (Zeigt auf die Brust)
TH
Haben Sie jetzt Herzbrennen bekommen? Noch etwas ?
P
Ich höre meinen Magen gurgeln.
TH
Sie können den Magen gurgeln hören. Ist es das, das ab und zu passiert, wenn sie starke Gefühle und Wut haben, dass Sie Herzbrennen und Bauchkrämpfe bekommen ?
(Rekapitulation. Aufzeigen des Zusammenhangs von Angst und Wut)
P
Ja, es muss so sein.
TH
Weil, als Sie hier begannen über Wut zu sprechen, haben Sie Herzbrennen und Bauchkrämpfe bekommen. Heisst das, dass Ihre Wut dahin geht?
(Wiederholen der Zusammenfassung)
P
Das muss sein, weil es gerade passierte !
(Dies weist darauf hin, dass die Unterdrückung der Gefühle in der glatten Muskulatur stattfindet.  Um diese Annahme zu bestätigen und den Grad der Angstintoleranz zu bestätigen, wird der Prozess mit einem anderen Fokus wiederholt.)
TH
Können Sie mir von einer anderen Situation erzählen, als dies passierte?
(Druck)
P
Ja, wenn ich wütig bin auf meinen Bruder, sage ich nichts. Ich ignoriere ihn.
TH
Können Sie mir von einer Zeit erzählen als das passiert ist?
(wiederholter Druck)
P
Ja neulich, er machte etwas, das mich irritierte.... und nun kommt es wieder ..... das Herzbrennen.
(Wiederum ist der Patient total entspannt ohne Reaktion der quergestreiften Muskulatur)
TH
Jetzt wieder, wenn Sie von Wut sprechen, reagiert Ihr Magen mit Säure und Krämpfen.
(Rekapitulation, die Verbindung herstellen zwischen den Gefühlen und der Angst.)


Nun haben wir bestätigt, dass dieser Mann eine geringe Angsttoleranz aufweist, weil es keine Anzeichen gibt, dass er seine unbewusste Angst in der quergestreiften Muskulatur entlädt. Es zeigt sich vielmehr, dass sich seine unbewusste Angst in die glatte Muskulatur des Darmes entlädt. Er hatte daher nur eine geringe Fähigkeit, seine Affekte zu isolieren oder über seine Gefühle zu intellektualisieren.

Wie wir in Figur 4 sehen, zeigt diese Erkenntnis dem Therapeuten, dass ein direkter Versuch das Unbewusste zu mobilisieren zu einer Verschlimmerung der gastrointestinalen Symptome führen würde, sobald die Schwelle der Verdrängung überschritten wäre.
Daher erfordert der Prozess die Anwendung des graded Format der ISTDP, das heisst ein gestuftes Vorgehen (Davanloo, 1990b c)

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Es wird für den Leser hilfreich sein sich des Zusammenhanges der 3 Typen von Abwehren und den Entladungskanälen der Angst bewusst zu sein.

Zusammengefasst :
Die Entladung der Angst in die quergestreifte Muskulatur ist im allgemeinen verbunden mit Affektisolation. Die Entladung der Angst in die glatte Muskulatur mit Verdrängung (nicht Wahrnehmen der Gefühle = Verdrängung). Die kognitive Störung ist verbunden mit Verdrängung und Projektion. Das oberste Ziel dieser Arbeit ist es, den Patienten zu befähigen die Angsttoleranz zu erhöhen, den Entladungspfad der Angst von der kognitiven Störung und in der glatten Muskulatur, in die quergestreifte Muskulatur umzuleiten. Damit verbunden ist ein Wechsel von den regressiven Hauptwiderständen wie Projektion und Verdrängung zur Affektisolierung (einem reiferen Widerstand entsprechend = der Patient kann das Gefühl benennen aber nicht innerlich erleben).
Sobald der Entladungspfad der Angst des Patienten in die quergestreifte Muskulatur gewechselt hat, kann der Therapeut mit mehr Zuversicht höheren Druck und Herausforderung anwenden, wie dies in der standardisierten Anwendung von ISTDP unablässig durchgeführt wird. (nach Davanloo 1990b.)


Vorbereitung des Patienten zum Aufschliessen des Unbewussten: Das abgestufte Vorgehen (Graded Format) in der ISTDP.

Davanloo beschrieb eine Methode, in Patienten die Fähigkeit aufzubauen, die unbewusste Angst besser zu tolerieren, für welche die herkömmliche Methode zu überwältigend wäre und sich die Symptome wahrscheinlich verschlimmern würden.

Die obige Vignette zeigt die Anwendung des graded format. Das Hauptmerkmal dieser Patienten ist ihre Unfähigkeit zwischen Gefühlen, Angst und Abwehr zu unterscheiden. (Davanloo, 1990 b, c).
Dementsprechend ist ein Prozess notwendig, der es dem Patienten ermöglicht sich in Selbstbeobachtung zu üben, über Gefühle nachzudenken und die Verdrängung von Gefühlen zu überwinden, sowie den Patienten zu befähigen zwischen Gefühlen, Angst und Abwehr zu unterscheiden. Das bedeutet, ihm anstelle von Verdrängung und Somatisation von Affekten, die Möglichkeit zur Selbstregulierung und Affektisolierung zu ermöglichen.

Wie wir in der Figur 5 sehen können, gilt es im graded format einem spezifischen Prozess zu folgen, ganz verschieden von der unaufhörlichen Anwendung von Druck, Herausforderung und Frontalkollision (Head on collision) des Standartvorgehens der ISTDP.

Im graded format folgen auf die Zyklen von Druck ein Anstieg der komplexen Übertragungsgefühle (CTF) und der unbewussten Angst. Wenn die Angst die Schwelle der Verdrängung erreicht, wird der Druck vermindert und eine Zusammenfassung des abgelaufenen Prozesses gemacht. Der Zusammenhang von Gefühlen, Angst und Abwehr wird ebenso aufgezeigt, wie auch die Verbindung zwischen der Vergangenheit des Patienten und den Erfahrungen der Gegenwart sowie zur direkten Übertragung hergestellt. Davanloo (1990 b,c).

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Im folgenden Abschnitt geben wir einen Überblick über die technischen Fragen, welche bei der Anwendung des graded format eine Rolle spielen.

1. Wann den Druck erhöhen
Wenn der therapeutische Prozess unfokussiert und losgelöst ist mit geringem Anstieg der komplexen Übertragungsgefühle (CTF), ist es wichtig den Druck zu erhöhen. Ohne diesen Druck und den Anstieg der CTF (Complex Transference Feelings) wird die Angsttoleranz  nicht verbessert. Dies weil keine Exposition mit der begleitenden Angst stattfindet. Mit anderen Worten, die therapeutische Arbeit in dieser Phase bedeutet das Erleben und Tolerieren der unbewussten Angst, welche mit den komplexen unbewussten Gefühlen zusammenhängt. Hinzu kommt, wenn diese unbewussten Kräfte nicht aktiviert werden, läuft die Therapie Gefahr, ins Endlose abzugleiten. Ein anderes Risiko von inadäquatem Druck ist, dass der Therapeut besorgt ist, dass die Patienten eine tiefere Angsttoleranz aufweisen, als sie es wirklich tun. Dies kann dazu führen, dass der Therapeut viel zu vorsichtig vorgeht und das Leiden des Patienten verlängert.

2. Wie den Druck erhöhen
Davanloo hat viele Möglichkeiten beschrieben Druck anzuwenden. In aller Kürze, jede Anstrengung den Patienten aufzufordern mit ihnen hier im Raum präsent zu sein, mit seinen, ihren Gefühlen, diese Gefühle zu erleben und gegen die Widerstände anzukämpfen, erzeugt Druck. Der Patient erlebt ihre Anstrengungen als Unterstützung, aber zur selben Zeit ist er wegen den Ermunterungen irritiert, obwohl sie deutlich zu seinem Vorteil sind, weil Sie ihm zu verstehen geben, dass es eine Veränderung braucht.

3. Wo Druck anwenden
Einfach gesagt, müssen wir auf das primäre Abwehrsystem des Patienten fokussieren. Die Schwierigkeit für den Therapeuten liegt im Erkennen, was ist im Vordergrund des Abwehrsystems des Patienten und wo interferiert es mit dem Therapeuten und dem Prozess. Zum Beispiel in der obigen Vignette als der Patient sich verbal fertig macht, lag der Fokus auf den gegen ihn gerichteten Ärger. Als er deutlich hörbare Darmkrämpfe entwickelte, lag der Fokus auf der Verdrängung der Gefühle und der Verlagerung in die glatte Muskulatur. Wenn er emotional flach und depressiv wird, wird der Fokus auf die Verdrängung in den depressiven Zustand sein. Jedes Mal versucht der Therapeut diese Verdrängungsphänomene mit Affektisolierung und der Fähigkeit sich zu beobachten ersetzen.

4. Wann den Druck senken
Wie weiss man, ob der Druck zu hoch ist und reduziert werden muss? Abzulesen in Figur 5. Wenn man über der Schwelle ist, muss man beginnen die Angst zu senken oder man geht das Risiko ein, dass sich die Symptome des Patienten verschlimmern. Was sind die Signale, dass man über der Schwelle ist? Vor allem  wird weniger oder keine Angst in der quergestreiften Muskulatur sichtbar sein und keine Affektisolierung. Der Entladungsweg der Angst wechselt in die glatte Muskulatur oder es kommt zu einer kognitiven Beeinträchtigung. Der Patient wird sich nicht bewusst sein, dass die Gefühle gerade verdrängt wurden. Stattdessen wird er oder sie in Depression versinken, in Weinerlichkeit verfallen oder somatisieren. (Schwäche, Müdigkeit, Schmerzen Betäubung, usw.)

5. Wie den Druck senken
Die obige Vignette zeigt auch wie der Druck gesenkt wird. Als erstes ist der Fokus auf die darunterliegenden Gefühle für einen Moment gestoppt worden. Zweitens wurde der Prozess partnerschaftlich mit dem Patienten angeschaut. Es wurde geklärt was gerade passiert war und eine Verbindung zwischen Gefühlen und Angst sowie den Abwehren hergestellt, welche in diesem Moment beobachtet wurden. Dies hilft dem Patienten zu sehen, dass Gefühle vorhanden waren, er sie aber nicht wahrnehmen konnte, weil sie in andere Ausbreitungswege ausgewichen waren. Drittens, wurde der Fokus auf eine andere Situation gewechselt, von der Übertragung ins jetzige Leben, in dem nach einem anderen spezifischen Bespiel gefragt wurde, in welchem ähnliche Reaktionen auftraten.
Der Wechsel vom T (Transference – Übertragungssituation) in C (current life – im jetzigen Leben) ist im graded format üblich. Der Hauptakzent liegt in der Beobachtung des Prozesses in jedem Moment während der Behandlung. Viertens : Den Patienten das körperliche und mentale Erleben der Angst beschreiben zu lassen, fördert die keimende Fähigkeit, den Affekt zu isolieren und besser zu lernen, die inneren physischen Signale zu beobachten und zu beschreiben.

6. Der Umgang mit extremer Angst.
Was ist, wenn Sie sich auf ein Gebiet des Patienten konzentrieren und seine Angst, seine Fähigkeit diese auszuhalten weit übersteigt? Zum Beispiel wenn der Patient eine kognitive Beeinträchtigung mit mentaler Verwirrung, verschwommenem Sehen, intensiver Angst oder eine Panikattacke erlebt ? Diese Situation verlangt nach unverzügliches Handeln, indem die Angst sofort gesenkt wird. Ansonsten besteht das Risiko einer Missallianz und damit verbunden eine hohe Therapieabbruchquote. Die in Punkt 5 dargestellten Techniken können zur Angstreduktion genutzt werden.

Folgende Punkte sollten ebenfalls berücksichtigt werden:

a. Nimm eine aktive und bestimmte Haltung ein. Denn still sein erhöht im allgemeinen die Angst. Schweigen ermöglicht es dem Patienten gewisse Aspekte des inneren Konfliktes auf Sie zu projizieren. Z.B. Sie in die Rolle der früheren missbrauchenden Figur zu stellen und mit ihnen so umzugehen, als wären Sie diese Figur.

b. Wenn der Patient hyperventiliert, sage dem Patient er solle aufhören zu atmen. Der Patient, der dies nicht kennt, wird sich in einen Konfusionszustand atmen (ventilieren), wenn sie Ihm diesen Mechanismus nicht aufzeigen.

c. Fokussiere auf den Prozess und die Gefühle, die in der Übertragung mobilisiert wurden. Dies mag paradox scheinen, aber ein Anstieg der CTF senkt normalerweise den Angstpegel. Und zuletzt, der Anstieg der Angst hat damit zu tun, was Sie in der Therapie gemacht oder nicht gemacht haben. Ins T (Übertragung) zu gehen bedeutet ein Zeichen geben, dass Sie keine Angst haben vor diesen Gefühlen; sogar dann nicht, wenn die Gefühle in der Beziehung zu Ihnen erlebt werden.

d. Sprechen Sie weiter und bleiben Sie Ihrerseits präsent. Wenn der Patient verwirrt ist, wird er Sie nicht klar hören oder sehen. Lassen Sie den Patienten sich mit Ihrer Hilfe erden. Patienten werden Ihnen erzählen, dass Sie sich in diesen Zuständen nur noch auf Ihre Stimme und Ihr Gesicht konzentriert haben um sich zu beruhigen.

e. Wiederholen Sie sich und machen Sie im Anschluss freie Zusammenfassungen. Rekapitulieren Sie die gewonnenen Einsichten, denn der Patient hat die Tendenz das Gelernte zu verdrängen und zu vergessen. Mehrmalige Wiederholungen reduzieren die Tendenz das nächste Mal wieder so ängstlich zu werden.

f. Fordern Sie den Patienten zur Mithilfe auf. Er soll mitteilen, wenn er wieder an dieser Schwelle ist. Somit haben Sie beide Ihre Augen auf alle Parameter gerichtet, Schwelle, Angstpegel usw. Dies ist ein gutes Grundprinzip der ISTDP – Zusammenarbeit, um einen „Co-piloten“ in der Therapie zu entwickeln.

g. Sie werden wissen ob es sicher ist fortzufahren, wenn Sie Signale aus der quergestreiften Muskulatur feststellen (Anspannung, Seufzen usw.)


7. Der Umgang mit hochgradig regressiven Abwehren
Was mit Patienten, die zu Wutausbrüchen und Ausrastern neigen, die in Tränen ausbrechen, sich selber schlagen, Herumschreien oder andere hochgradig regressive Abwehren benutzen? Diese Phänomene sind Beziehungs- und Allianz zerstörende Verhaltensweisen, welche vermieden oder wenigstens so früh wie möglich gestoppt werden müssen. Die genaue Intervention hängt vom Auslöser ab. Wenn die Ursache eine zu hohe Muskelanspannung ist, dann sind die in Punkt 5 dargestellten Interventionen hilfreich.
Wenn Projektion die Ursache ist, dann ist der beste Zugang direkt zu überprüfen und den Patienten beschreiben zu lassen, wie er Sie wahrnimmt und erforschen, woher diese Vorstellung kommt : dies schwächt die Projektion und ersetzt sie durch Affektisolierung und Selbstbeobachtung. Handelt es sich um regressive Abwehren und einer Mischung von Verdrängung, dann hilft ein Anstieg in der CTF wie in Punkt 6 (insbesondere 6c) beschrieben wird.
Wenn es im Rahmen der gewohnten Charakterabwehr des Patienten ist, muss man ihn mit seinem Verhalten bekannt machen und ihm helfen, die Konsequenzen zu sehen. Dies mag zu Durchbrüchen von Trauer führen wenn der Patient realisiert, welchen Schaden diese Abwehren den Beziehungen, die zu er aufzubauen versucht hat, zugefügt haben.

8. Optimierung der Dosierung (Figur 6)
Das Mass des Angstanstieges, ähnlich der Exposition in der Verhaltenstherapie, braucht eine optimale Dosierung, die der Patient ertragen kann, um daran zu arbeiten und ohne ungünstige Effekte die Angst zu meistern. Dies bewirkt, dass sich der Patient weiter mit Ihrer Hilfe den Hang hocharbeiten will. Aus der Perspektive der ISTDP ist es optimal wenn wir nahe an der Angstschwelle (1) innerhalb dieses therapeutischen Fensters arbeiten. Ist der Anstieg zu schwach, schreitet die Änderung der Angsttoleranz unnötigerweise zu langsam voran (2). Ist sie zu hoch und oft über der Schwelle, dann kann die Allianz leiden, und die dynamischen Kräfte münden in Depression, Somatisation oder kognitiver Verwirrung, und letztendlich in einem Therapieabbruch.

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Vignette der 4. einstündigen Sitzung


TH
Als sie gekommen sind, waren sie ängstlich und hatten Reflux Symptome.
(Druck)
P
Ja, ich dachte über diese Wutgeschichte nach und war letzthin verärgert über meinem Bruder.
(Hat ein leichtes seufzen = gewisse Angst in der qM) [qM = quergestreife Muskulatur]
TH
Sie hatten starke Gefühle worüber sie sprachen und ihr Magen reagierte. Haben Sie jetzt Krämpfe und Herzbrennen.
(Rekapitulation – Verbindung herstellen zwischen Gefühlen und Angst)
P
Nein jetzt nicht.
Die Hände sind etwas verkrampft = (qM)
TH
Können wir uns die Gefühle anschauen mit denen Sie heute gekommen sind.
(Druck)
P
Ich war bei ihm und wir haben über unsere Kindheit gesprochen. Für ihn schien es recht rosig gewesen zu sein. Ich fühlte mich ihm gegenüber ärgerlich.
TH
Wie verspüren Sie den Ärger ?
(Druck)
P
Ich fühlte Übelkeit und hatte anschliessend Durchfall.
(Er zeigt keine Aktivierung der qM mehr)
TH
So hat sich ihr Ärger wieder in die Bauchgegend verlagert ?
(Rekapitulation und Verbindung zwischen Gefühl und Angst)
Warum haben Sie den Ärger nicht gespürt ? Vor was haben Sie Angst gehabt ? (Druck)
P
Ich weiss es nicht. (zeigt Aufstossen).Ich bekomme jetzt wieder Krämpfe.
(Zeigt auf den Bauch - Angst in der gM) [gM = glatte Muskulatur]
TH
Die Wut, auf die wir jetzt fokussieren verschiebt sich in Krämpfe. Passiert diese Reaktion wieder ?
(Rekapitulation Verbindung Angst und Gefühlen)
P
Ja.
TH
Wenn wir jetzt auf die Gefühle achten, gehen Ihre Emotionen eher in den Magen, als dass Sie gefühlt sind. (Rekapitulation wiederholen)
Können wir schauen wie Sie sich mit mir fühlen, wenn wir miteinander sprechen? (Druck)
P
Mit Ihnen ? Ich habe Ihnen gegenüber keine Gefühle. Ich fühle mich mir gegenüber irritiert. Mein Magen fühlt sich immer noch schlecht an.
(Weiterhin keine Zeichen in der qM – er weist auf Angst  in der gM hin)
TH 
Nun, wenn die Emotionen ansteigen, richtet sich der Ärger innerlich wieder gegen Sie selber. Als ob sie den Ärger abschalten, in sich behalten und ihn von allen anderen fernhalten. (Rekapitulation) Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie gegen Ihren Bruder oder gegen mich wütig gewesen wären?
(Druck - das ist hauptsächlich eine intellektuelle Frage. Es ist aber eine Anspielung darauf, warum er verdrängt.  Angst und Schuld darüber zu verletzen.)
P
Ich würde mich ziemlich schlecht fühlen. Er hatte während den letzten 5 Jahren seit dem Tod der Mutter eine recht schwierige Zeit. Auch seine Ehe war in Schwierigkeiten. Er hat dasselbe wie ich mit dem Darm und der Angst.
(Empathische Antwort wenn gleich sehr intellektuell)
TH
Dann hat es auch positive Gefühle. Kehren Sie deswegen die Wut gegen sich selber? Um ihn zu schützen.....
(Rekapitulation verbinden der gemischten Gefühle mit der Abwehr)

Um mich zu verprügeln..... Ich habe immer das Gefühl ich müsste aus einem Grund bestraft werden .... oder dass mich jemand bestrafen wird.
TH
Das ist sehr wichtig. Sie spüren im tiefsten Liebe, aber auch Ärger. Wenn Ärger hochkommt, wird er mit Depression, Angst und einer Art Schuldsystem abgeschaltet? Als ob Sie jemandem, den Sie lieben geschadet hätten.
(Rekapitulation der komplexen Gefühle mit der Angst, der Abwehr. Verbinden der 3 Punkte im Konfliktdreieck)
P
Und es so gegen mich richte ? (ergänzt die Rekapitulation)
TH 
Was glauben Sie ?
P
Scheint mir so zu sein. Es macht Sinn, aber ich will das nicht mehr.
(Schaut kräftiger, ruhiger aus. Die Zeichen aus der qM sind wieder da – besserer Körpertonus und verkrampfte Hände)
TH
Lass uns anschauen, was wir da tun können. (Druck)
P
Was soll ich machen ? (Abwehr – eine Art Passivität und regressive Tendenz)
TH
Lass uns sehen. Wollen Sie auf mich warten ? (Druck)
P
Ich weiss nicht, was ich tun soll. (Etwas Anspannung, Seufzen)
TH
Wie fühlen Sie mir gegenüber gerade jetzt ? (Druck)
P
Frustriert.
TH
Wie fühlen Sie diese Frustration im Inneren? (Druck)
P
Ich weiss nicht. Es ist gegen mich...
TH
So, wieder gegen Sie gerichtet. Wieder zurück zu den gemischten Gefühlen ? Lassen Sie uns schauen, wie wir das angehen können, um es zu stoppen. Weil die Gefühle in mehrere Richtungen gehen. In den Magen, in die Angst, in die Depression, in die Vermeidung und in eine passive Haltung. Alles gegen Sie gerichtet.... wie um die andere Person zu schützen. (Rekapitulation und Druck)
P
Das ist es, was ich tue und ich mag das eigentlich nicht ....

Man kann an diesem Punkt der Sitzung sehen, wie der depressive Prozess nachlässt, mehr Energie entsteht, die Angstabfuhr in die glatte Muskulatur abnimmt, ein gewisser Zugang zur quergestreiften Muskelabfuhr der Angst und die einsetzende Affektisolation entsteht. Das sind typische frühe Zeichen, die etwa ab der 4. Therapiesitzung auftreten, wenn der Prozess gut läuft. Und dies oft zum erfreulichen Erstaunen von Medizinern und Spezialisten, die den Patienten über Jahre betreut haben und keine gesundheitlichen Verbesserungen feststellen konnten, trotz bester traditioneller medizinischer Versorgung.
Schaut man auf Figur 5 befindet sich der Patient an dem Ort, wo er in der Lage ist etwas Angst auszuhalten und eine leichte Tendenzen zur Verdrängung aufweist. Er hat immer noch Magendarmsymptome und depressive Zeichen, jedoch bei einer höheren Schwelle als vorher. Er erträgt mehr Druck und komplexe Gefühle ohne über die Angstschwelle zu geraten. Das erlaubt es ihm besser seine Gefühle zu erleben, was das eigentliche Ziel des Prozesses ist. Der Patient kann jetzt über seine Gefühle nachdenken und von ihnen sprechen ohne dass eine Symptomverschlimmerung auftritt.

Beweis von Charakterveränderungen in der frühen Phase der Therapie

Mit der Anwendung des graded format stellen sich strukturelle Änderungen in der unbewussten Angst und der Abwehr ein. Anstatt mit gastrointestinalen Symptomen oder mit entwicklungsgeschichtlich frühen Abwehren wie Projektion und Regression den Kontakt zu den Gefühlen zu verlieren, wird der Patient fähig, seiner Gefühle gewahr zu werden (z.B. mit Affektisolation, so dass sich die unbewusste Angst in die quergestreifte Muskulatur entlädt. 
Wenn einmal die Neigung zur Verdrängung und zur Entladung der Angst in die glatte Muskulatur blockiert ist, nähert sich der Prozess immer mehr dem direkten, unablässigen Vorgehen der ISTDP, der Mobilisation der unbewussten Gefühle und dem Öffnen des Unbewussten. Der Patient wird fähig einen genügenden Anstieg der komplexen Übertragungsgefühle auszuhalten, und die UTA (unbewusste therapeutische Allianz) erstmals über den Widerstand dominieren zu lassen. Diesen Prozess nannte Davanloo einen ersten Durchbruch oder eine kleinere Form der teilweisen Erschliessung des Unbewussten (Davanloo, 1990f)


Vignette von der 8. einstündigen Sitzung

P
Ich habe mich besser gefühlt....der Durchfall ist seit einigen Wochen verschwunden, aber ich habe bemerkt dass ich meine Schwägerin nicht sehr mag.
(Angst in der qM - die Hände sind geballt und er nimmt einen tiefen Seufzer)
TH
Können Sie mir mehr dazu sagen? Erst warum Ihr Durchfall gestoppt hat. (Druck)
P
Ich bin nicht so sicher (seufzt) aber etwas ist anders. Ich denke mehr über Gefühle nach und lasse sie nicht gegen mich kommen ....... die Wut und die Angst von der wir sprechen.
TH
Können wir anschauen was mit Ihrer Schwägerin passiert ist ? Eine spezifische Situation die sie bemerkt haben. (Druck genau zu sein)
P
Ja, meines Neffen John’s Wüstenrennmaus ist gestorben und sie wollte sie die Toilette runterspülen.... mein Neffe war wütend und weinte.
TH
Wie haben Sie sich gefühlt ? (Druck)
P
Ich sagte ihr, sie solle sensibel sein und die Wirkung auf John beachten.... und sie hat's gemacht. (Seufzt wieder)
TH 
Sie hat gut darauf reagiert ? (Druck)
P
Ja, sie hat tatsächlich. Sie war überrascht dass ich etwas gesagt habe und hat sich später bedankt. Was ich gesagt habe war angemessen und ruhig. Ich war selber erstaunt. (Ist stolz und lächelt)
TH
Also haben Sie sich gut gefühlt und im Einklang mit ihr.
(Klärung und Druck auf positive Gefühle)
P
Ja, aber als sie es gesagt hat, hat es mein Herz zerrissen und ich fühlte mich wütend.
(Seufzen und auftreten von weiteren CTF [komplexen Übertragungsgefühlen] )
TH
Wie erleben Sie körperlich diese Wut, wenn Sie jetzt daran denken?
(Druck auf das Wahrnehmen der Gefühle)
P
Es ist ....(bewegt die Hände vom Bauch zur Brust mit Kehrbewegungen – dies zeigt, dass der körperliche Ausbreitungsweg der Wut aktiviert wird)
TH
Wie fühlt sich das jetzt an? (wiederholter Druck auf das Wahrnehmen der Gefühle)
P
Es ist in meinen Gedärmen und im Brustkorb .... hochdrängend ... eine Hitze
(Die Spannung hat nun abgenommen und der Patient energievoller. Die Wut ist ein gewisses aktiviert im somatischen Pfad)
TH
Wie fühlt sich das an? (wiederholter Druck auf das Wahrnehmen der Gefühle)
P
Als ob ich sie stossen, hauen möchte. (Sehr starke Geste)
TH
Wie will das kommen, wenn es nicht zu stoppen ist? (Druck)
P
Es will wie einen Laserstrahl rausknallen. (Kräftig und Ausdrucksvoll)
Es würde sie an die Wand schleudern.
TH
Was passiert dann. (Druck)
P
Dann ist sie gestoppt.... und ich fühle mich schlecht. (Tränen in den Augen)
TH
Das ist ein sehr schmerzhaftes Gefühl.....(mit seinen Emotionen mitschwingend)
P
Ja. (Weint still)
Es ist wichtig zu beachten, dass zu diesem Zeitpunkt, Angst und Widerstand vorübergehend abwesend sind. Darum sind Druck und Herausforderung zu diesem Zeitpunkt nicht indiziert. Es ist die Aufgabe des Therapeuten, den schmerzhaften Aspekt des Gefühls hervorzuheben und anzuerkennen, und den Prozess nicht durch sprechen zu unterbrechen. Sobald die Welle der Schuld vorüber ist, ist es Zeit zu rekapitulieren.
TH
In diesem Moment waren heftige komplexe Gefühle gemeinsam vorhanden. Sie haben sich mit John und seinem Verlust identifiziert. Das hat eine Trauer und eine gewisse Wut mobilisiert mit der dazugehörigen Körperwahrnehmung. Aber diese Wut war mit Schuldgefühlen verbunden.
P
Ja, aber diesmal habe ich keinen Durchfall und Krämpfe bekommen und sagte sogar etwas und das hat ganz gut geklappt.
T
Ja, sie waren sich der Gefühle bewusst, aber haben Sie bis jetzt nicht erleben können. Und als sie diese gefühlt haben, sind die Angst und die Anspannung gesunken und die Gefühle wurden spürbar. Es waren gemischte und starke Gefühle. Früher hätten sie aufs WC gehen müssen und es hätte Panik ausgelöst. Vielleicht wären sie sogar depressiv geworden, aber darüber zu sprechen wäre nicht möglich gewesen. (Wiederholung – Verbindung zwischen Angst, Gefühl und Abwehr)
P
Das ist sicher.
TH
Ich habe eine Frage zu diesen Gefühlen. Haben Sie eine Idee was dies für Sie bedeutet und warum Sie diese so stark gefühlt haben?
P
Ja.... (Es kommt eine Welle von Trauer und Tränen hoch)
Meine Mutter....
(Die therapeutische Allianz bringt eine Verbindung zum Vorschein zu einer Figur in der Vergangenheit mit der ungelöste Gefühle bestehen.)
TH
Da ist ein ganz starkes schmerzhaftes Gefühl.
(Anerkennen und Hervorheben)
P
(Weinend) Mein Vater und meine Mutter liessen sich scheiden als ich 5 jährig war. Alles woran ich mich erinnere ist, dass ich nicht über meinen Vater sprechen durfte und ich Ihn selten sah. Meine Mutter erlaubte es nicht. Es war, als wäre er gestorben.
TH
Oder als ob sie ihn getötet hätte ?
P
Ja, eher so.
TH
Da gibt es viele schmerzhafte Gefühle.
P
(Es kommt mehr Trauer)

In den Anfangsminuten einer Sitzung sehen wir eine häufige Antwort bei Patienten, die mit der ISTDP behandelt werden. Die Therapie bringt Veränderungen auf einer unbewussten und nicht auf einer bewussten Ebene. Patienten werden Gefühle besser berichten, haben mehr Bewusstheit für Gefühle, können aber nicht erklären, warum die Dinge besser sind oder was genau geändert hat. Der Therapeut kann jedoch die Änderungen im Entladungsweg der unbewussten Angst und der Abwehr sehen.

Im partiellen Aufschliessen des Unbewussten, wie dieses Beispiel zeigt, gibt es keinen Transfer des Bildes zur Person, der die ungelösten Gefühle gelten. Eher gibt es eine Verbindung zu einer Person worüber der Patient erstaunt ist, dies im Moment zu realisieren. Danach wird es möglich die Gefühle um die ursprüngliche Person zu explorieren. In diesem Beispiel war es auch möglich zu verstehen, warum dieses Ereignis mit der Mutter verbunden war: Sein Einfühlen in seinen Neffen, wenn dessen Mutter ihm etwas wegnahm, ohne ihm ein Recht der Trauer oder Gefühlen über den Verlust zu geben, triggerte seine Gefühle hinsichtlich der Erfahrung mit seiner Mutter und seines Beziehungsabbruches mit seinem Vater. Ihn auf die Situation ansprechend und dabei genügend ruhig bleibend, hatte er für sich selber eine Art interpersonellen Durchbruch.

Nach diesem Aufschliessen ist es wichtig eine genügend lange Phase zur Festigung zu haben. Es ist wichtig für den Patienten den Zusammenhang zwischen Angst, Gefühlen und Abwehr hervorzuheben, in der Vergangenheit, der Gegenwart und in der Übertragung. Dies ist ein systematischer und repetitiver Prozess, mit Anschauen derselben Information noch und noch, bis man sicher ist, dass der Patient selber diesen Prozess in das eigene Verstehen über sich selbst integriert hat. Diese Festigung schwächt die Verdrängung und zementiert die Affektisolation: und „ändert so den Charakter“. Wird die systematische Analyse nicht gemacht, stellen sich die Abwehren wieder ein und  die Symptomreduktion schreitet langsamer fort. beschrieben von Davanloo (1990b, 1990c),


Zusammenfassung
Für viele Patienten, die Verdrängung und Projektion als Hauptwiderstand anwenden ist die gängige ISTDP Methode kontraindiziert. Diese Form ist für uns nur dann sicher anwendbar, wenn der Patient als Abwehrform die Affektisolation mit Angstabfuhr in die quergestreifte Muskulatur verwendet. Für Patienten mit hochgradiger Verdrängung kann die Anwendung der unablässigen Drucktechnik anstatt zu einem Durchbruch der Gefühle zur verstärkten  Verdrängung und zu einer Symptomverschlimmerungen führen. (Davanloo 1990b,1990d)
Mit der Anwendung des graded format, charakterisiert durch Zyklen von Druck und wiederholter Zusammenfassung, entsteht ein Lernprozess im Rahmen des Anstiegs der Übertragungsgefühle. Dies führt zur Restrukturierung der unbewussten Ausbreitungswege der Angst und der Abwehren und stärkt die Kapazität des Patienten, den Auswirkungen der unbewussten Gefühle zu widerstehen. Nach jeder Zusammenfassung kehrt der Therapeut auf einer höheren Stufe zum Druck zurück. Der Therapeut beobachtet konstant das unbewusste Signalsystem, um die nächste Intervention zu planen. (Davanloo 1990b,1990c).
Herausforderung spielt im graded format keine grosse Rolle, weil Patienten, die des graded format bedürfen, per definitionem ihre Abwehren nicht in der Übertragung kristallisieren können. Ohne diese Kristallisierung  gibt es keine Indikation für die Herausforderung von Widerständen. (Davanloo 1990b,1990c).

Das Ziel dieser Phase der Therapie ist nicht das Aufschliessen des Unbewussten, sondern das Vorbereiten des Patienten, die Intensität der unbewussten Gefühle auszuhalten. Mit dieser Arbeit wird dem Patienten ermöglicht, eine gewisse Menge an Gefühlen zu erleben, sie von Angst zu unterscheiden und zu verstehen, dass er seine Abwehrmechanismen dazu verwendet, seine Gefühle zu vermeiden. Die Angst beginnt in die quergestreifte Muskulatur abzufliessen und der Patient kann nun bei einem hohen Anstieg von komplexen Gefühlen den Affekt isolieren. An diesem Punkt stellen wir fest, dass das Abwehrsystem restrukturiert ist und der Patient bereit ist, die standardisierte unablässige Technik der ISTDP zu tolerieren. Obwohl dies eine Vorbereitungsphase ist, entsteht dadurch ebenso eine Symptomreduktion und eine nachweisbare Veränderung der Charakterstruktur.

Über die Autoren:
Allan Abbass ist Professor für Psychiatrie und Direktor im Zentrum für Emotionen und Gesundheit an der Dalhousie Universität, Departement Psychiatrie in Halifax, Kanada.
Er hat in Grundlagenforschung der ISTPD publiziert und hat einige Lehrpreise gewonnen. Den letzten 2005 den R. W. Putmann Preis für herausragende Beiträge zur Weiterführung der Medizinischen Ausbildung.

D’Arcy Bechard ist ein Gemeinde Psychiatrie Pfleger an den Psychiatrischen Diensten, Bedford- Sackville; Teil der Capital District Health Authority Mental Health Program in Halifax, Canada. Seit 7 Jahren praktiziert er nach diesem Modell unter Supervision von Dr. Abbass.

Bibliographie:

Abbass, A.    (2002)    Office Based Research in ISTDP: Data From the First 6 years of Practice. AD HOC Bulletin of Short-term Dynamic Psychotherapy, 6(2),4-15.
Davanloo, H.    (1980)    Short-Term Dynamic Psychotherapy, New York, Jason Aronson.
Davanloo, H.    (1990b)    Intensive Short-Term Dynamic Psychotherapy with Highly Resistant Depressed Patients: Part I - Restructuring Ego’s Regressive Defenses, in: Unlocking the Unconscious, (pp. 47-80), Chichester, England, John Wiley & Sons.
Davanloo, H.    (1990c)    Intensive Short-Term Dynamic Psychotherapy with Highly Resistant Depressed Patients: Part II - Royal Road to the Dynamic Unconscious, in: Unlocking the Unconscious, (pp. 81-99), Chichester, England, John Wiley & Sons.
Davanloo, H.    (1990d)    The Technique of Unlocking the Unconscious in Patients Suffering from Functional Disorders. Part I. Restructuring Ego’s Defenses, in: Unlocking the Unconscious, (pp. 283-306), Chichester, England, John Wiley & Sons.